Glosse
«Vermehrung von Rennpferden!»
Von Jürg-Peter Lienhard
Die Basler Zeitung meldete am 7. August 2003: «Das weltweit erste
Klon-Pferd ist in Italien geboren worden.» Und ganz unscheinbar steht in
der Agenturmeldung weiter unten: «Die Forscher erhoffen sich nun
Fortschritte bei der Vermehrung von Rennpferden.»
Da haben wirs wieder: Die unerhörte Diskrepanz, dass in den letzten 200
Jahren das Wissen in der Technik unendlich zugenommen hat, und dass nun
eigentlich im selben Ausmass auch die Verantwortlichkeit entsprechend
wachsen müsste: «Vermehrung von Rennpferden...!»
Die Technik schreitet wild voran, doch der menschliche Verstand hält
nicht Schritt, kann nicht Schritt halten, denn dem Diktat des
Materialismus ordnet er die geistige Entwicklung unter: «Vermehrung von
Rennpferden...!»
Der Soziologe Bruno Latour erkennt: «Die Trennung der Moderne von
Gesellschaft und Natur in zwei vollkommen verschiedene Bereiche findet
sich auch im Mensch'Tier-Verhältnis: Dadurch werden anscheinend
unüberwindbare Gegensätzlichkeiten aufgebaut - das Tier kann, wenn es
als solches definiert ist, und dem Menschen vollkommen unterschiedlich
ist, zur menschlichen Verwendung (!) herangezogen werden»: «Vermehrung
von Rennpferden...!»
Folglich: «Tiere sollen aber nicht als der Gegensatz des Menschen
begriffen werden, sondern als andere Welten, die nicht auf unser Mass
zurechtgestutz werden dürfen.»: «Vermehrung von Rennpferden...!»
Bereits vor über 70 Jahren suchte der elsässische
Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer eine Ethik für die Natur,
überhaupt eine Ethik, die alles Leben, Menschen, Tiere, Pflanzen und
alle Bedingungen, die dieses Leben ermöglichen, berücksichtigt. Offenbar
haben wir es seither nicht viel weiter gebracht: «Vermehrung von
Rennpferden...!»
Jürg-Peter Lienhard
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