04.07.1995 - Kulturstadt
Basel will «Kulturstadt Europas 2001» werden
Ist Basel eine Stadt der Kultur?
Bewerbung trotz sofortiger Schliessung zweier Museen aus
Spargründen - Opfer sind das «Museum für Gestaltung» und das «Stadt- und
Münstermuseum»
Basel will sich bei der Europäischen Union um den Titel
«Kulturstadt Europas» bewerben, obwohl die Regierung fast zeitgleich aus
Spargründen die Schliessung zweier Museen, sowie eine Budgetkürzung von
20 Prozent für das Theater beschlossen hat. Ist Basel eine «Kulturstadt
Europas»? Dieser Frage nachgegangen ist
Jürg-Peter Lienhard
Die Basler Regierung hat sich in der vergangenen Woche gleich
mehrmals mit dem Thema Kultur befasst und dabei erbarmungslos mit dem
Sparbeil zugeschlagen. Dabei stellte sie sich aber in Widerspruch zum
eigenen Beschluss, sich in «Brüssel» für die «Kulturstadt Europas 2001»
zu bewerben.
So soll aus Spargründen das Stadt- und Münstermuseum aufgehoben und die
Sammlung über die Stadtentwicklung mit dem Historischen Museum
zusammengelegt werden. Nicht nur würden dadurch mittelalterliche
Skulpturen in irgendwelchen Depots für unbestimmte Zeit verschwinden,
sondern auch eine Gelegenheit, Schulen und Zugewanderten die
Identifizierung mit der Stadt durch einen stets lebendig gestalteten
Einblick in die Stadtgeschichte zu ermöglichen.
Ebenfalls aus Spargründen soll das Museum für Gestaltung, das sich mit
der Entwicklung einer eigenwilligen neuen Ausstellungssprache im
internationalen Vergleich einen Spitzennamen geschaffen hat, auf Ende
März 1996 ersatzlos geschlossen werden. Die beiden Museumsleiter Bruno
Haldner und Matthias Götz konstatieren, dass in der Bewerbung für
«Brüssel» Argumente stehen, die ausgerechnet auf ihr Museum gemünzt
sind. Tatsächlich wird im «Programmprofil» der Bewerbung vom
«international renommierten Museumsangebot» gesprochen, «welches laufend
erweitert wird»: «Die Museen könnten vermehrt zu Zukunftswerkstätten
werden, in denen das Spannungsfeld zwischen Bewahren und Innovation zum
Thema gemacht wird.»
«Petition der 20'000» nützte nichts
In den fünf Jahren ihres Zusammenwirkens haben Haldner und Götz genau
das verwirklicht, was erst jüngst die «Zeit» in einer ausführlichen
Würdigung festhielt. Eine neue Ausstellungssprache zu entwickeln, bis
sie international gehört wird, dauert eine Weile - und jetzt soll sie
schon wieder abgewürgt werden? Haldner: «Wir sind bereit, fast jeden
Preis dafür zu zahlen, um auch anderswo unsere Idee und unser Programm
fortzusetzen.» Für sie steht es aber ausser Frage, in ein anderes
städtisches Museum versetzt zu werden, allein um Arbeitsplatz und
Beamtenstatus zu behalten.
Zwei Petitionen - am Mittwoch eingereicht und von über 20'000 Personen
unterzeichnet - begehren nun die Rückgängigmachung der
Museumsschliessungen. Die Erfolgsaussichten sind sehr zweifelhaft.
Auch das Theater Basel, das nach dem Weggang von Frank Baumbauer und der
erzwungenen Kündigung des Nachfolgers Wolfgang Zörner, schon so in eine
anhaltende Qualitätskrise gestürzt wurde, hätte nach dem Willen der
Regierung fast stranguliert werden sollen: Mit der vorgesehenen
Etatskürzung von 30 Prozent hätte das Theater eine seiner drei Sparten
(Oper, Schauspiel, Ballett) ganz opfern oder allesamt auf ein Rudiment
schrumpfen lassen müssen. Immerhin hat das Parlament am Mittwoch das
regierungsrätliche Spardekret insofern gebremst, als die definitiv
beschlossene Subventionskürzung «nur noch» 20 Prozent ausmacht. Und
beschlossene Sache ist ebenfalls, dass dafür die Ballettsparte durch
Ensembleschrumpfung hinhalten muss.
Knausriger Bauchnabelschmuck
Knauserig verhält sich die Kulturstadt-Kandidatin auch gegenüber der
Musik: «Musikstadt» ist - neben «Medienstadt» (trotz fehlender
Medienvielfalt), «Museumsstadt», «Eurostadt», «Chemiestadt»,
«Kunststadt» - einer der vielen Glanztitel, mit der sich Basel
fortwährend den Nabel zu schmücken sucht. Tatsächlich hat Basel als
Musikstadt bis vor nicht allzulanger Zeit einen internationalen Ruf
genossen, aber durch verschiedene Halbherzigkeiten wieder verplempert.
Auch in der Orchesterfrage sind finanzielle Restriktionen schneller
gesprochen worden, als über deren Konsequenzen nachgedacht wurde.
So erstaunt nicht, dass das «Porträt der Kulturregion Basel», das
übrigens von beiden Regierungen der Basler Halbkantone bei der Europäischen Union (EU) gemeinsam eingereicht wird, allein eine
Bestandesaufnahme des kulturellen Vermögens ist. «Es geht nicht um die
Aufpolierung des Familiensilbers, es geht um die Frage, wozu man es
brauchen kann», bemängelt daher die Basler Zeitung die behördliche
Kultur-Nabelschau.
Im «Programmprofil» ist denn der Konjunktiv, das «hätte» und «könnte»
der dominante Casus, abgesehen davon, dass viele altbekannte und schon
immer abgedroschen gewesene unverbindliche Wortblasen das
«Profil»-Papier beherrschen: «Basel will in der Region ein Grenzeuropa
schaffen, das Beispiel sein kann für die Entwicklung in unzähligen
Grenzregionen in Europa.» Obwohl die Basler ihre ausländische
Nachbarschaft nur nach Restaurant-Adressen kennen, ist sie ungefragt in
die Bewerbung einbezogen worden...
Autostopper ohne Ziel
Kein Wunder, sehen die Programm-Verfasser, eine fünfköpfige Kommission,
bestehend aus Vertretern der beiden Halbkantons-Kulturabteilungen sowie
zwei professionellen Public-Relations-Beratern, Basels Kulturleben wie
Autostopper, denen der Weg das Ziel ist - der Weg nach Irgendwo: «Der
Prozess ist der eigentliche Weg zur 'Kulturstadt Europas 2001'»,
proklamieren sie etwa in der Präambel.
Der Staatshaushalt Basels ist belastet durch ein enormes Defizit von
über 100 Millionen Franken, das zu einschneidenden Ausgaben-Einsparungen
zwingt. Die Gewinnrekorde der Chemiemultis werden durch den
fortschreitenden Abbau oder durch die Verlagerung der Arbeitsplätze ins
nahe Ausland in der Steuerrechnung mehr als wettgemacht. In der
parlamentarischen Kultur gewinnt die Kosten-/Nutzen-Sprache mehr und
mehr Oberhand. Die drastischen Einsparungen im kulturellen Bereich
erstaunten nicht allein ihrer Höhe wegen, sondern wegen der
unverbindlichen Art, wie sie fast beiläufig beschlossen wurden.
Zum Schaden noch der Spott
Kunststück, dass der Spott nicht lange auf sich warten lässt. So unkte
der in Basel lebende Aargauer Schriftsteller Hansjörg Schneider
bitterbös: «Ist der Sumpfrohrsänger vom Aussterben bedroht, wird das
Jahr des Sumpfrohrsängers ausgerufen. Und ist in Basel die Kultur am
Verschwinden, soll es flugs zur Kulturstadt Europas erklärt werden.»
Auch der Künstler und Mitgründer der einstmals führenden
deutschsprachigen Basler Werbeagentur GGK, Karl Gerstner, kommentiert
mit Sarkasmus: «Sich selber am eigenen Schopf packen und aus dem Sumpf
ziehen: die Idee ist gut.»
«Selbsternannte» Kulturförderer wider Kulturbeamte
Basels bedeutendste Sammlungen und Kulturaktivitäten verdankt es
Einzelnen, Vertretern des am Aussterben begriffenen Bildungsbürgertums.
Zumal den Mäzenen, Sammlern und vermögenden Künstlern, wie Ernst
Beyeler, Maya und Paul Sacher, aber auch Rolf Fehlbaum, dem
Achitekturförderer. Genannt werden müssen sodann Rauol La Roche, Rudolf
Staehelin, die allesamt dem Beispiel von Bonifazius und Basilius
Amerbach folgten, die Anfang des 16. Jahrhunderts den Grundstein der
Basler Sammelschätze legten, wie ebenso dem Vorbild Christoph Merians,
dessen Vermächtnis aus dem 19. Jahrhundert noch heute den Künstlern der
Stadt zugutekommt. Ja selbst Firmen, wie die National-Versicherung, das
Modehaus Spengler, die seit längerem eine bedeutende Kunstsammlung
aufbauen und die Migros, ohne deren Engagement Basel nicht zu seinem
«heimlichen offiziellen Wahrzeichen» gekommen wäre - dem
Tinguely-Brunnen nämlich - gehören in diese Reihe der «selbsternannten»,
also nicht beamteten, Kulturförderer.
«Das Handeln, das Tun, das Leben, oder Vor-Leben, war oder ist die
Maxime dieser Kulturpioniere - und nicht die grossen Worte, die sich
schliesslich im Erbsenzählen erschöpfen», stellt der 71jährige Künstler
Hans Peter bitter fest: Ihm wurde letztes Jahr ultimativ eine
vierhundertprozentige (!) Mieterhöhung für sein langjähriges Atelier
zugestellt. Absender: Das Erziehungs- und Kulturdepartement Basel-Stadt.
Klagen und Beispiele solcherart, wo wirtschaftliches
Kosten-/Nutzendenken im Masstab 1:1 auch auf ideelle Gebiete wie die
Kultur übetragen werden, mehren sich.
Monopolisierte Medienlandschaft verhindert Meinungsvielfalt
Einer der tieferen Gründe, warum die Kulturdiskussion in Basel auf ein
Nebengeleise angelangt ist, will der Künstler, Grafiker und Gestaltungslehrer Kurt Pauletto (63) in der monopolbehrrschten
Mediensiutation ausmachen: Die Basler Zeitung könne der Meinungsvielfalt
nicht gerecht werden; die politischen Kräfte würden nicht mehr
kontroversen Auffassungen ausgesetzt, die zu breiter abgestützten
Entscheiden zwingen würden.
In Journalistenkreisen ist zudem die Rede davon, dass die Kulturbeamten
und Verfasser der Kulturstadt-Bewerbung privat die Kulturrealität in
Basel ganz anders einschätzen, als sie in ihren eigenen salbungsvollen
«Papieren» schreiben. Und soeben lieferten ihnen die Auftraggeber ja
auch gleichzeitig den Beweis - per Regierungs- und Parlamentsbeschluss:
Wer zahlt, befiehlt wo gespart wird. Und dabei ist auch «sparen» nicht
ehrlich gemeint. Sparen heisst «auf die Seite legen» für «später» oder
für «grössere Auslagen». Aber nicht wegnehmen...
Jürg-Peter Lienhard
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